Zwischen Heilen und Verwahren

Im November 1906 wurde in den Gebäuden der ehemaligen Corrigendenanstalt zu Hadamar die „Landes-Pflegeanstalt für Geisteskranke“ eröffnet. Dies war eine Einrichtung, die vornehmlich psychisch Erkrankte aufnehmen sollte. Um die Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert war der Bedarf an psychiatrischer Versorgung gestiegen, und so bildete Hadamar schon die dritte entsprechende Anstalt im Regierungsbezirk Wiesbaden.

Schwarz-Weiß Foto. Im Verdergrund ein Feld und im Hintergrund ein großes Gebäude sowie ein Kloster.
Blick auf die Landesheilanstalt mit der ehemaligen Klosteranlage. Foto: LWV_Archiv_F12 Nr. 4

Im Jahre 1908 lebten hier 120 Patientinnen und Patienten. 1913 stieg die Zahl auf 193 Personen. Während des Ersten Weltkriegs von 1914 – 1918 musste in der Anstalt ein Lazarett mit 50 Betten für psychisch erkrankte Soldaten eingerichtet werden. Neben der daraus folgenden räumlichen Enge führte die dramatische Versorgungslage zu unhaltbaren Zuständen. Der Mangel an Lebensmitteln rief Unterernährung und Krankheiten bei den Patientinnen und Patienten hervor. Zahlreiche Todesfälle waren die Folge. 1919 lebten nur noch 37 Männer und 72 Frauen in der Anstalt.

Die gesunkene Insassenzahl bedrohte den Erhalt der Anstalt. Auch aus diesem Grund wurde zwei Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs innerhalb des Anstaltsbetriebs ein Heim für „Psychopathinnen“ eingerichtet. Junge Frauen, die etwa an Alkoholismus, Geschlechtskrankheiten oder auch angeblicher Hysterie litten, wurden hier untergebracht. Einem sozial abweichenden Verhalten sollte sowohl im Rahmen einer Krankenbehandlung als auch durch erzieherische Maßnahmen begegnet werden. In diesem Zuge wurde die Anstalt umbenannt in „Landesheil- und Erziehungsanstalt“.

Alter Aktendeckel mit der Aufschrift "Krankengeschichte". Der Rest ist unscharf und nicht lesbar.
Akte aus der Landesheil- und Erziehungsanstalt Hadamar. Foto: Gedenkstätte Hadamar/Tanja Wesel

Bei der Behandlung von psychisch Erkrankten wurden in der Zeit zwischen dem Ersten Weltkrieg und dem Beginn der NS-Herrschaft zum Teil neue Wege gegangen. Zunächst blieb die Behandlung konventionell und bestand zumeist aus Dauerbädern und Bettruhe. Auch wurden die Patientinnen und Patienten mit Haus-, Näh- und Küchenarbeiten beschäftigt.

Gegen Ende der 1920er Jahre wurde aber auch in Hadamar die „Arbeitstherapie“ eingeführt, die Patientinnen und Patienten zu sinnvollen Arbeiten anleitete. Ein Ziel war es, die Menschen wieder in ein Leben außerhalb der Anstalt zu integrieren.
Die Landesheilanstalt, wie sie ab 1928 genannt wurde, erwarb zu diesem Zweck im Jahr 1927 das Hofgut Schnepfenhausen. Dort sollten Patientinnen und Patienten landwirtschaftlich arbeiten. Trotz der Reformansätze blieb weiter ungeklärt, was mit den Menschen geschehen sollte, die zu krank waren, um arbeiten zu können.
Zur gleichen Zeit begannen allerdings auch massive Sparmaßnahmen, die der Wirtschaftskrise geschuldet waren. Im Zuge ökonomischer Nöte wurde auch der Erziehungsanspruch in Hadamar eingeschränkt. Am Vorabend des Nationalsozialismus ging es zunehmend nur noch um das „Verwahren“ von Patientinnen und Patienten.

Literatur: Gabriele Kremer, Die Landesheil- und Erziehungsanstalt Hadamar 1906–1932, in: Uta George u. a. (Hg.), Hadamar. Heilstätte – Tötungsanstalt – Therapiezentrum, Marburg 2006, S. 90–107.