Systematische Verschlechterung der Lebensbedingungen

Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten 1933 veränderte sich die Situation der Landesheilanstalt Hadamar und das Leben der Patientinnen und Patienten umfassend.

Wie anderenorts versuchte auch der Bezirksverband Nassau als Träger der Landesheilanstalten, politisch missliebige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auszuschließen und durch linientreues Personal zu ersetzen. Gleichzeitig sollten kirchliche Anstaltsträger weitestgehend verdrängt werden: So wurde das St. Anna-Haus in Hadamar ab 1937 nicht mehr durch den Bezirksverband unterstützt. Dies bedeutete dessen Ruin. Mitte 1938 erwarb der Bezirksverband das Haus günstig und betrieb es fortan als Außenstelle der Landesheilanstalt Hadamar.

Seit 1934 beteiligte sich das Personal der Landesheilanstalt umfänglich an der Umsetzung des Anfang des Jahres in Kraft getretenen „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“. Das Gesetz sah vor, Menschen mit bestimmten, vermeintlich erblichen Erkrankungen oder Beeinträchtigungen unfruchtbar zu machen. Die Landesheilanstalt Hadamar verfügte über keine eigene Operationsabteilung. Deshalb wurden die Patientinnen und Patienten für die Zwangssterilisation vorübergehend in die Landesheilanstalt Herborn verlegt, die ebenfalls zum Bezirksverband Nassau gehörte. Allein 1935 wurden 141 Patientinnen und 30 Patienten der Landesheilanstalt Hadamar zwangssterilisiert.

Zunehmend verschlechterten sich die Lebensbedingungen der Anstaltspatientinnen und -patienten. Sie waren nicht nur dem Risiko ausgesetzt, zwangsweise sterilisiert zu werden, auch ihre Versorgung wurde systematisch eingeschränkt. Ab Mitte der 1930er-Jahre wurde die Anstalt regelmäßig überbelegt, Personal wurde abgezogen, Sachmittel wurden eingespart und nicht zuletzt wurden die zugeteilten Gelder für Nahrungsmittel gekürzt.

Beispielsweise wurde der Personalschlüssel für die Betreuung von Patientinnen und Patienten drastisch reduziert: Während 1935 noch 81 Personen von einem Arzt betreut wurden, waren es 1939 insgesamt 141 Patientinnen und Patienten.

Mit Kriegsbeginn 1939 beschlagnahmte die Wehrmacht die Landesheilanstalt Hadamar, um dort ein Reservelazarett zu betreiben. Die meisten Patientinnen und Patienten sowie ein Teil des Personals wurden in die Landesheilanstalt Weilmünster verlegt. Einige arbeitsfähige Patientinnen und Patienten verblieben in Hadamar, um in der Gärtnerei und der anstaltseigenen Landwirtschaft zu arbeiten.

Während 1940 an anderen Orten bereits die „Aktion T4“ durchgeführt wurde, beteiligte sich die Landesheilanstalt Hadamar an der Erfassung der hier verbliebenen Patientinnen und Patienten. Die aus Berlin eingetroffenen Meldebögen dienten der vermeintlichen medizinischen Begutachtung der Kranken und waren im Rahmen der „Aktion T4“ die Grundlage für die Entscheidung über Leben und Tod. Die Meldebögen wurden vom Verwaltungsleiter Alfons Klein ausgefüllt; zu diesem Zeitpunkt verfügte die Landesheilanstalt Hadamar über keinen eigenen Arzt.

Nachdem die Wehrmacht das Anstaltsgebäude Ende 1940 verlassen hatte, schloss der Bezirksverband Nassau einen Pachtvertrag mit der „T4“-Organisation. Er übergab das Gebäude kostenlos um in Hadamar die letzte, sechste Tötungsanstalt der „Aktion T4“ einzurichten.

Literatur: Peter Sandner, Die Landesheilanstalt Hadamar 1933 –1945 als Einrichtung des Bezirksverbands Nassau (Wiesbaden), in: Uta George u. a. (Hg.), Hadamar. Heilstätte – Tötungsanstalt – Therapiezentrum, Marburg 2006, S. 136–155.