Wider der unsäglichen Verharmlosung der NS-Diktatur
Im Zuge der Diskussionen um Corona-Einschränkungen kommt es vermehrt nicht nur zu unerträglichen Vergleichen der gegenwärtigen Situation mit der nationalsozialistischen Diktatur, sondern auch zu einem zunehmend aggressiveren Verhalten von einigen derjenigen, die die Pandemie oder deren Gefährlichkeit leugnen. Die Angriffe, denen die Kolleginnen und Kollegen der Gedenkstätte Buchenwald ausgesetzt sind, und die auf der Facebook-Seite der Gedenkstätte öffentlich gemacht wurden, sind ein beredtes Zeugnis für die zunehmende Radikalisierung.
Die gewählten Vergleiche derjenigen, die die Gefährlichkeit der Pandemie und damit letztendlich auch das Leiden und Sterben der vielen tausend Toten in Abrede stellen, setzen die gegenwärtigen Debatten um Corona-Maßnahmen in einer offenen, pluralen Demokratie mit dem terroristischen System der NS-Diktatur gleich. Solche Vergleiche entbehren nicht nur jeder Grundlage, sondern sie sind als abstrus zu bezeichnen.
Dabei geht es nicht nur darum, dass offensichtlich die Personen, die diese (vermeintlichen) Vergleiche anstellen, sich nicht ausreichend über die Geschichte der NS-Zeit und das Schicksal der in dieser Zeit Verfolgten informiert haben. Es handelt sich also nicht nur um Geschichtsvergessenheit.
Solche Informationslücken könnten durch die Lektüre von Berichten oder Biografien der Menschen, die in der NS-Zeit verfolgt wurden, geschlossen werden. Denn jeder und jede, die sich mit Anne Franks Tagebuch, mit den Erlebnissen des Auschwitz-Überlebenden Primo Levi oder mit den erschütternden Schicksalen der in der Tötungsanstalt Hadamar Ermordeten auseinandersetzen, erkennt, wenn er oder sie denn ein wenig Selbstreflexion walten lässt, dass die gegenwärtige Situation nichts mit dem vergangenen Schrecken gemein hat.
Vielmehr werden in den angestellten Vergleichen die Verbrechen des Nationalsozialismus und das Leiden und das Sterben der Verfolgten verharmlost. Es geht also nicht nur um verunglückte Vergleiche, sondern um den bewussten Versuch, eine rassistische, menschenverachtende Politik herunterzuspielen.
Dabei vergleichen sich die entsprechenden Leute sogar selbst mit den Opfern der NS-Verfolgung, insbesondere mit jüdischen Menschen, die im Nationalsozialismus ausgegrenzt, gepeinigt und ermordet wurden. Diese Opferanmaßung ist nicht nur völlig grotesk und verharmlost ebenfalls den Nationalsozialismus, sondern sie dient offensichtlich auch dazu, die eigenen Aggressionen und Taten zu rechtfertigen.
Wie wir zunehmend gewahr werden, sind tatsächlich einige der Personen, die die Vergleiche zwischen der gegenwärtigen Situation und den NS-Verbrechen anstellen, gerade alles andere als „Opfer“, sondern sie sind vielmehr diejenigen, die andere bedrängen und diffamieren. Hier geht es nicht um möglicherweise berechtigte und in der Demokratie allemal erlaubte Kritik an unterschiedlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Sondern es geht um die Verweigerung von Dialog und Selbstreflexion und um die Selbstlegitimation von Taten, die anderen zumindest emotionalen Schaden zufügen. Die unsäglichen Vergleiche und die Versuche, sich mit den Verfolgten der NS-Zeit zu vergleichen, sollen die eigene Aggressivität verschleiern.
Wenn auch der Kreis derjenigen, die sich radikalisieren, klein ist, gilt es doch öffentlich gegen die vorgenommene Geschichtsklitterung Stellung zu beziehen, sich mit den Kolleginnen und Kollegen, die in Gedenkstätten und anderen Einrichtungen angefeindet werden, zu solidarisieren und unseren gemeinsamen, in einem demokratischen Diskurs entstandenen erinnerungskulturellen Grundkonsens zu verteidigen, der die NS-Verbrechen nicht verharmlost, sich der Verfolgten und Ermordeten erinnert (ohne sie zu instrumentalisieren) und aus der Geschichte Lehren (und nicht Schlagworte) zu ziehen versucht.
Priv.Doz. Dr. Jan Erik Schulte
Leiter der Gedenkstätte Hadamar