Klaus Dörner ist am 25.9.2022 in Gütersloh gestorben. Wir trauern um einen großen Vordenker, einen über Jahrzehnte aktiven Anstifter zu neuen Initiativen und Aktivitäten, einen großen Redner, einen Lehrer und Ausbilder, einen Mentor für viele von uns und einen wunderbaren Freund.
Lieber Klaus, so viele Themen sind eng mit Deinem Namen verbunden.
Das gilt insbesondere in der Sozialpsychiatrie: die Anstaltsauflösung, der Aufbruch in eine Gemeindepsychiatrie, die interdisziplinäre Zusammenarbeit der verschiedenen Berufsgruppen auf Augenhöhe, um Menschen mit psychischen Schwierigkeiten oder kognitiven Einschränkungen besser zu verstehen und ihre Würde und ihren Eigensinn anzuerkennen und schließlich die Relativierung der Rolle der Professionellen beim Umgang mit Anderssein in einem Mix von bürgerschaftlich Engagierten, Zivilgesellschaft und Professionellen. Prägend für viele war Dein frühes Buch „Bürger
und Irre“, womit die Entstehungsgeschichte der modernen Psychiatrie maßgeblich um die politischen und soziologischen Perspektiven erweitert wurde, und natürlich „Irren ist menschlich“, das Lehrbuch für alle sozialpsychiatrisch Tätigen bis heute.
Dein Name ist aber ebenso eng verbunden mit der Erforschung der nationalsozialistischen Vergangenheit der Medizin, vor allem der Psychiatrie und der Behindertenhilfe: Du warst es, der Anfang der 1980er Jahre mit ein paar anderen zusammen unseren bis heute aktiven „Arbeitskreis zur Erforschung der NS-Euthanasie und Zwangssterilisation“ gegründet hast. Vorangegangen waren die
Feststellungen der Psychiatrie-Enquete zur NS-Vergangenheit und die Diskussion in der Deutschen Gesellschaft für Soziale Psychiatrie zum „Krieg gegen die psychisch Kranken“, die Du mitgeprägt hast. Unvergessen Dein öffentliches Bekenntnis auf dem Kongress zum „Mustergau Hamburg“, dass Du Deinen Lehrer Hans Bürger-Prinz verehrt hast bis zu Deiner erst kürzlichen Entdeckung seiner Mittäterschaft an der NS-Euthanasie. Dieses öffentliche Geständnis eines Irrtums und das daraus
folgende Umdenken, hat viele berührt und bewegt und war das Vorbild für die dann folgende Welle des Nachfragens und Erforschens der Geschichte der jeweiligen Klinik oder Anstalt, in der man als Arzt oder Ärztin, als Krankenpflegekraft oder als Therapeut*in arbeitete.
Die Geschichte der Medizin im Nationalsozialismus war eines Deiner großen Themen. Dir ist es zu verdanken, dass wir heute über die vollständige Veröffentlichung der Dokumente des Nürnberger Ärzteprozesses verfügen. Auch die Anerkennung der Zwangssterilisation als NS-Unrecht – eine Jahrzehntelanger zäher Kampf – wäre ohne Dich undenkbar gewesen. Ebenso prägte Deine Handschrift die Warnungen vor einer utilitaristisch geprägten Ethik der modernen Medizin, wie sie sich dann im erfolgreichen Protest gegen die Bioethik-Konvention des Europarates artikulierte
Lieber Klaus, vieles ist natürlich auch nicht erreicht worden. Wer, wenn nicht Du, hätte besonders darunter gelitten, dass der Aufbruch nach der Psychiatrie-Enquete sich bald im Gestrüpp der Bürokratie verfing und schließlich in den Strudel der Privatisierungen geriet. Aber wer, wenn nicht Du,
hast auch immer wieder Mut zum Weiterdenken gemacht und mit neuen Beteiligungsformen, wie dem Trialog von Angehörigen, Psychiatrie-Tätigen und Psychiatrieerfahrenen als Experten in eigener Sache neue Wege beschritten.
Wir alle verdanken Dir so viel und noch viel mehr als hier angeführt ist.
Danke. Danke von ganzen Herzen. Wir verneigen uns vor Dir. Wir werden Dich sehr vermissen.
Der Nachruf wurde am 04.10.22 von Michael Wunder verfasst und auf der Website des Arbeitskreises zur Erforschung der nationalsozialistischen „Euthanasie“ und Zwangssterilisation veröffentlicht.