Rudolf Graf von Ingenheim - „Lebt scheinbar mit seinen Gedanken in einer anderen Welt“*
Heute vor 80 Jahren meldete der Pfleger Philipp Blum dem städtischen Standesamt in Hadamar sieben Todesfälle aus der Anstalt auf dem Mönchberg. Einer von ihnen war Rudolf Graf von Ingenheim. Er sei zwei Tage zuvor im Alter von 64 Jahren an „Altersschwäche“ gestorben. Tatsächlich gehörte er zu einer besonderen Gruppe von Ermordeten der „Euthanasie“-Tötungsanstalt Hadamar.
In der Krankenakte von Rudolf von Ingenheim prangert ein großes rotes „D“. Das „D“ stand für „Durchgangskranke“ und bedeutete, dass er im Jahr 1941 für die „Aktion T4“ selektiert worden war. Die „Aktion T4“ war das zentrale Gasmordprogramm der Jahre 1939–1941. Rudolf hatte die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens in Anstaltspflege verbracht. Über seine Kindheit und Jugend wissen wir heute nichts mehr.
Am 25. August 1941 kam er mit der Bewertung „unheilbar“ als „Durchgangskranker“ in der sächsischen Anstalt Zschadraß an. Zschadraß war zu diesem Zeitpunkt eine der Zwischenanstalten für die „T4“-Tötungsanstalt Pirna-Sonnenstein. Von hier sollte er also nach Pirna-Sonnenstein verlegt und in der dortigen Gaskammer ermordet werden. Einer Verlegung in den Tod entging er jedoch, da Hitler nahezu zeitgleich mit Rudolfs Ankunft in Zschadraß den offiziellen Stopp der „Aktion T4“ angeordnet hatte.
Rudolf blieb daraufhin keine zwei Monate in Zschadraß, Anfang Oktober 1941 wurde er nach Arnsdorf verlegt. Dort wurde er als ruhiger Patient wahrgenommen, der sich die meiste Zeit zurückzog. Nach einer Verletzung am Bein blieb er ab Dezember 1942 überwiegend zu Bett und wurde behandelt. Mehr ist über ihn heute nicht mehr zu erfahren.
Ende März 1943 wurde er zusammen mit 43 weiteren Männern und Frauen nach Hadamar verlegt. Es waren alles „Durchgangskranke“. Mit diesem Transport verlegte man also jene Menschen, die schon in der „Aktion T4“ hätten sterben sollen.
Zu diesem Zeitpunkt war Hadamar eine Tötungsanstalt der „dezentralen Euthanasie“. Die hier ankommenden Menschen wurden extrem vernachlässigt und bewusst ausgehungert. Zudem wurde in der Anstalt mit überdosierten Medikamenten gemordet. Rudolf von Ingenheim überlebte nur drei Tage. Am 3. April 1943 starb er.
Wir veröffentlich in der Kampagne #Hadamar1942Bis1945 Biografien der Verfolgten und Ermordeten der „dezentralen Euthanasie“ zwischen 1942 und 1945. Hier finden sich alle bisher veröffentlichten Biografien.
*Auszug der Krankengeschichte in Arnsdorf, LWV-Archiv, Best. 12, K 980
Quelle: LWV-Archiv, Best. 12, K 980
Wir danken den Kolleginnen und Kollegen der Stiftung Sächsische Gedenkstätten für die Unterstützung zur Recherche. Mehr Informationen zu den sächsischen Anstalten sind auf der Website der Stiftung Sächsische Gedenkstätten abrufbar.