Adolf L. – „Sein Fleiß und sein Betragen sind einwandfrei“*
Vor 80 Jahren erreichte ein Schreiben der Landesheilanstalt Meseritz-Obrawalde die Anstalt auf dem Mönchberg in Hadamar: der aus Hadamar entflohene und wieder aufgegriffene Patient Adolf L. sei aus dem Polizeigefängnis in die eigene Anstalt überführt worden. Man bitte nun um Einsicht in die Krankengeschichte sowie Übersendung weiterer Unterlagen.
Adolf hatte sich knapp 10 Monate in Hadamar aufgehalten, als er im August 1943 aus der Anstalt floh. In dieser Zeit wurde in Hadamar im Rahmen der „dezentralen Euthanasie“ mit Medikamenten, Nahrungsentzug und extremer Vernachlässigung gemordet. Die Chancen diesen Ort wieder lebend zu verlassen, waren verschwindend gering. Adolf L. gelang es durch seine Flucht der Tötungsanstalt zu entkommen.
Mit der Aufnahme in Meseritz-Obrawalde kam er jedoch schon kurze Zeit später an einen Ort, an dem in noch größerem Umfang gemordet wurde. In Meseritz wurden Hochrechnungen zufolge in den Jahren 1942–1945 bis zu 10.000 Menschen Opfer der „Euthanasie“. Wie genau es Adolf schaffte auch diesen Ort zu überleben, wissen wir nicht. Aber er tat es.
Es war nicht das erste Mal, dass Adolf L. mit der „Euthanasie“ in Kontakt gekommen war. Mit 19 Jahren wurde er wegen schweren Raubes straffällig. Aufgrund eines ärztlichen Gutachtens wies man ihn 1939 als „kriminellen Geisteskranken“ aufgrund des §42b in die Anstalt Tapiau ein. Mitte August 1941 wurde er in einem Sammeltransport nach Teupitz verlegt – eine Anstalt, die im Rahmen der „Aktion T4“ eine „Zwischenanstalt“ zu einer Gasmordanstalt war. Die Verlegung legt nahe, dass er für die „Euthanasie“ selektiert worden war. Dem Tod in der Gaskammer entging er durch den offiziellen Stopp der Aktion am 24. August 1941 nur knapp.
Von Teupitz führte sein Weg über die Anstalt Altscherbitz schließlich im November 1942 nach Hadamar. Er war einer von 112 verlegten Menschen. Bis Ende Juni 1943 waren bereits über 90% von ihnen ermordet worden. Vor allem für die letzten Kriegsjahre gilt, dass jene Patientinnen und Patienten bessere Überlebenschancen hatten, die arbeitsfähig oder wenig pflegebedürftig waren und sich gut in die Anstaltsordnung einfügten. Adolf arbeitete in Hadamar zunächst in der Schreinerei und wurde dann auf das Hofgut der Anstalt verlegt. Sehr wahrscheinlich bot sich ihm hier die Chance zur Flucht.
Bis heute ist Adolf L. die einzige uns bekannte Person, die nicht nur der „Aktion T4“ entkam, sondern auch zwei der prominentesten Tötungsanstalten der „dezentralen Euthanasie“ überlebte.
Wir veröffentlich in der Kampagne #Hadamar1942Bis1945 Biografien der Verfolgten und Ermordeten der „dezentralen Euthanasie“ zwischen 1942 und 1945. Hier finden sich alle bisher veröffentlichten Biografien.
*Auszug aus einem ärztlichen Gutachten, Hadamar April 1943, LWV-Archiv Kassel, K 12, Nr. 2485
Quelle: LWV-Archiv, K 12, Nr. 2485
Zum Weiterlesen über Meseritz: Harald Jenner, Die Heil- und Pflegeanstalt Meseritz-Obrawalde. Der unbekannte Tötungsort, in: Osterloh, Jörg/ Schulte, Jan Erik/ Steinbacher, Sybille (Hrsg.): „Euthanasie“-Verbrechen im besetzten Europa, Studien zur Geschichte und Wirkung des Holocaust, Band 6, Göttingen 2022, S. 97–110.