Die gewaltsamen Anschläge auf Gedenkstätten, die an die Verbrechen des Nationalsozialismus erinnern, nehmen zu. Zerstörungen, Schmierereien, rechtsradikale Parolen und Äußerungen, verbale Angriffe auf Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind fast schon an der Tagesordnung. Vor wenigen Wochen wurden Fensterscheiben am Sitz der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten in Celle eingeschlagen. Nun wurde – wieder einmal – eine Grenze überschritten. Ein Kollege der KZ-Gedenkstätte Dachau war das Ziel. Auf seine Wohnungstür wurde ein Hakenkreuz geschmiert. Der direkte, persönliche Angriff soll Angst verbreiten – Angst ist das Mittel von Täterinnen und Tätern, die offenbar die ehrliche Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit scheuen.
Selbst aus der Mitte der Gesellschaft wird wieder einmal ein „Schlussstrich“ der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit gefordert und werden „Jugendsünden“ als Erklärung für rechtsradikales Gedankengut herangezogen. Doch es bleibt eben nicht folgenlos, wenn wir als Gesellschaft unsere gewalttätige Vergangenheit entsorgen wollen. Denn woraus sollen wir denn lernen als aus der Geschichte? – Wie lernen wir, wie Menschen mit anderen Menschen umgegangen sind und was dies für Folgen hatte? Genauso wie Einzelpersonen so lernt auch eine Gesellschaft aus den Fehlern der Vergangenheit.
Natürlich ist das anstrengend. Doch das Leben ist anstrengend, vielfältig, herausfordernd. Und es ist ein Irrglaube zu denken, dass diejenigen, die einfache Lösungen bieten, die Schuld auf andere abwälzen wollen, die außer Worten nicht zu bieten haben, den Einzelnen wohlgesonnen sind. Schauen wir in die Geschichte: Diktatoren, Autokraten und Populisten haben die Gesellschaften, die sie regiert haben, immer in den Abgrund geführt. Menschenverachtende Rhetorik bringt menschenverachtende Handlung hervor. Die nationalsozialistische Geschichte hat dies gezeigt: Am Ende standen millionenfacher Mord und die Zerstörung halb Europas und nicht zuletzt Deutschlands. – Letzteres wird in der rechten Rhetorik gerne vergessen …
Es ist also keine Fußnote, wenn Gedenkstätten angegriffen, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter attackiert und die Geschichte verdreht und geleugnet werden. Es ist ein Irrtum, wenn wir glauben, dass immer nur die anderen das Ziel solcher Attacken werden. Ganz im Gegenteil rühren die Verklärung einer nationalistischen und nationalsozialistischen Vergangenheit und das Leugnen der in deutschem Namen begangenen Verbrechen an die Grundfesten unserer Gesellschaft und Demokratie. Machen wir uns nichts vor: Jede und jeder Einzelne ist davon bedroht.
Am 8. Mai 1985 sagte Bundespräsident Richard von Weizsäcker in einer der wohl bekanntesten Reden der Bundesrepublik Deutschland: „Wer aber vor der Vergangenheit die Augen verschließt, wird blind für die Gegenwart.“ Und weiter: „Wer sich der Unmenschlichkeit nicht erinnern will, der wird wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.“
Der Appell geht an uns alle: Laufen wir nicht hinter denjenigen her, die blind für Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind, die lieber den Kopf in den Sand stecken, nichts wissen wollen von dem, was ihrem Weltbild widerspricht, wie der berühmte Vogel Strauß. Widersprechen wir den rechtsradikalen und nationalsozialistischen Parolen und setzen wir uns mutig mit unserer Vergangenheit auseinander, denn nur so können wir eine menschliche Zukunft für alle in unserer Gesellschaft gestalten. Und bitte: Sage hinterher keiner, er hätte nichts gewusst und die Zeichen der Zeit nicht erkannt!
Priv.-Doz. Dr. Jan Erik Schulte
Leiter der Gedenkstätte Hadamar